Schriftgut

Bogomir Ecker

„In seinem bisherigen künstlerischen Werdegang hat sich Martin Lucas Schulze stets mit Phänomenen aus dem Bereich der Naturwissenschaft und mit ihren Behauptungsmechanismen die Welt zu erklären beschäftigt. Ihn interessiert die Bruchstelle zwischen dem empirisch Nachgewiesenen, dem Überprüfbaren und der Lücke, die sich immer ergibt, wenn in der wissenschaftlichen Behauptungskette ein logisches Glied fehlt. Er operiert intuitiv in dieser Lücke. Er versucht diese Leerstelle ausfindig zu machen.

Schon sehr früh als Student, zunächst fasziniert von dem materiellen Prozess der Malerei, entwickelt er die Ahnung, dass in dieser schwer zu benennbaren Lücke nur die Kunst helfen kann. Fasziniert von komplexen Wissens-Systemen, beginnt er einen Arbeitsansatz in dem das Ephemere, das Lexikalische, seine Zettel- und Ideen-Sammlung ihn von einer Versuchsanordnung zur nächsten treibt. Man könnte glauben, das wäre sein Ziel. Dies ist nicht der Fall. Ich bin davon überzeugt, das ihn mehr die beunruhigende Vorstellung treibt, selbst etwas wirklich Komplexes und Fundamentales zu finden. Das er zunächst mit diesem Anspruch scheitern muss, liegt in der Natur der Sache und macht die Sache nur noch sympathischer. Er ist im positivsten Sinne ein Bastler der sich die Welt erklären will.

Aber nicht nur die Betrachtung von Systemen, ihre beruhigende und berührende Schönheit, interessiert ihn, sondern möglicherweise ist er noch mehr an dem Vorgang interessiert wann und wie Systeme zusammenbrechen. Wo könnte sich die Sollbruchstelle befinden?“

 

Dr. Justin Hoffmann

„Um 1960 erfanden Künstler Vorrichtungen, die so angelegt waren, dass sie Dinge zerstörten. Zu den Pionieren dieser Richtung zählen Jean Tinguely und Gustav Metzger. Beide wollten mit ihren Arbeiten auf die zerstörerische Kraft der Maschinenwelt hinweisen. Gleichzeitig erkannten sie das ästhetische und Potenzial dieser Destruktionsmaschinen, die besondere Wirkung, die „Logik der Sensation“, wie Gilles Deleuze es nennt. Beiden Künstlern der Auto-Destructive Art war es wichtig, dass der Mechanismus selbst die destruktive Gestaltung übernimmt und der Künstler ihn nur auslöst. Deshalb spielt hier trotz exakter Konstruktion und weitreichender Planungen das Unvorhersehbare eine wesentliche Rolle. Der Zufall formt gleichsam mit. Gerade dadurch erhält die Destruktion auch eine produktive Komponente. Die Idee vom Zyklus des Schöpferischen und Zerstörerischen wird aufgegriffen. In dieser Tradition steht Martin Lucas Schulze mit seiner Arbeit Paläo Echo. Auch hier ist es eine von ihm geschaffene Konstruktion, die ausgelöst vom Künstler zerstört wird. Die „Akteure“ seiner dramatischen Handlung sind Basaltsteine, die anfänglich in der Luft schweben. Gehalten werden sie durch Nylonschnüre. Durch einen komplexen, vom Künstler entworfenen Mechanismus, fallen die Steine nacheinander zu Boden. Was euphemistisch formuliert ist, denn sie krachen laut auf den Untergrund und hinterlassen Spuren. Die Steine zerbrechen, Stellen splittern ab und strukturieren den Boden. Das Werk ist ein akustisch-optischer Prozess, der als Ergebnis eine Rauminstallation ergibt, die vom vorausgegangenen kinetischen Ablauf geformt wird. Paläo Echo ist ein Hörerlebnis, eine Aufführung mit Steinen als Klangproduzenten. Paläo Echo ist ein optisches Geschehen, das man besser mit Schutzbrillen verfolgt, um nicht einen Splitter ins Auge zu bekommen.

Mit dem Titel „Paläo Echo“ lässt Martin Lucas Schulze an die Frühzeit des Menschen, das Paläolithikum, die Altsteinzeit denken, an eine Zeit, als die Menschen noch in Felshöhlen lebten. Das Werk ist somit ein Widerhall alter Zeiten. Die Arbeit symbolisiert aber auch die Gewalt der Natur insgesamt. Im Hochgebirge sind Steinschläge keine Seltenheit. Sogar ein eigenes Verkehrszeichen „Achtung Steinschlag“ existiert. Gegen die Assoziation des „Paläo“, des Altertümliches, aber arbeitet die Mechanik, die den Prozess seines „Steinschlags“ steuert. Sie verweist auf das Maschinenzeitalter, in dem wir heute leben. Paläo Echo bringt, wie es sich für ein Echo gehört, zwei Seins- und Zeitebenen zusammen. Insbesondere die Kürze des Geschehens lässt an unsere schnelllebige Zeit denken, in der man von einem Programm in das nächste wechseln kann, an eine Zeit, in der Börsen krachen und Kurse einbrechen so wie Steine auf einem gekachelten Boden.“